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Buchbesprechung im Schloss Ribbeck

Buchbesprechung im Schloss Ribbeck Oktober 2021 

Film: https://streaminghavelland.de/buchbesprechung-im-schloss-ribbeck/


Thomas Frick* (Autor und Regisseur) interviewt
Heinrich von der Haar zum Roman RikschaTango**


Thomas Frick: Du hast deinen vierten Roman veröffentlicht, bist auch Tangotänzer. Dieser Roman handelt vom Tango. Du machst Lesungen mit einem Tanzpaar, einer von beiden heißt wie im Roman Oskar. Warum?

Was für ein Zufall, könnte man denken. Aber es hat einen realen Hintergrund. Mich hat die Muse geküsst und die Muse heißt Oskar. Ein ganz realer Oskar, der auch leidenschaftlich Tango tanzt und der sich mit Rikschafahren über Wasser hält. Mit diesem Oskar durfte ich mich anfreunden. Dem bin ich dankbar, dass er mir viele Anregungen gegeben hat. Insofern hat der Roman einen fremdbiografischen Hintergrund.

 

Mir hat sehr gefallen, dass es ein Roman über einen alternden Mann ist. Oskar ist sechzig. Er hat es nicht mehr so leicht wie früher?

Er ist einsam, auf der Suche nach Nähe, Zärtlichkeit, Liebe.

 

Wie überwindet er seine Einsamkeit?

Im Tango ist das einfach. Man bewegt sich aufeinander zu, nimmt sich in den Arm, sucht Brustkontakt, Wangenkontakt. Da kann Oskar aus sich herausgehen, sich freier fühlen. Da kommt er gut an.

 

Oskar steht zwischen mehreren Frauen und wird von allen begehrt – Tango aus der Sicht eines Mannes, klingt wie eine Wunschfantasie –
Aber was macht ihn so attraktiv?

Er kann wunderbar tanzen, ist charmant,  sieht jünger aus, hat blaue Augen ...

 

Er muss ja sportlich sein, oder?

Leider hat er einen Bauch, den versucht er einzuziehen, aber wer hat mit sechzig noch so schöne lange, blonde Locken?

 

Oskar ist ja ein Angeber. Wie sieht seine Realität aus?

Den schönen Schein, den kann er kaum aufrechterhalten, seine ausgebeulte Hose, die abgelatschten Tanzschuhe, und knapp, wie er finanziell dran ist, kann er sich die teuren Tanzevents, auch die Tangoreisen nicht leisten.

 

Ein Mann aus der Unterschicht, mit HartzIV. Wie behauptet er sich in der Mittelschicht im Tango-Milieu?

Er versucht, charmant zu sein, dazu gehört das Angeben. Da steht er unter Druck, möchte Sekt ausgeben, Frauen einladen …

Und lebt dabei über seine Verhältnisse. Er erzählt, er habe vier Herzkammern, hat ihm sein Kardiologe gesagt, deswegen kann er auch vier Frauen lieben.
 

Ist das nicht ein bisschen viel?

Immerhin geschieht das Wunder. Frauen finden ihn attraktiv, er wird zurückgeliebt. Der Tango macht Liebhaber, sagt man.
Nähe ist verführerisch, kann intim, erotisch sein.

 

Mir gefallen besonders gut die Tanzszenen – da wird es ganz groß im Roman – wo ja auch die Nähe zustande kommt. Aber was ist dann noch sein Problem?

Einengend darf die Beziehung nicht sein. Er will nicht wieder in einer Ehe festgenagelt werden! Da hat er Panik. Insofern kann er sich nicht auf eine festlegen und hält sich mehrere warm – immer auf der Schau nach der Traumfrau. Er fühlt sich mehr von Wert, wenn auch die Schönste der Schönen ihn begehrt.

 

Und ignoriert die anderen. Ist das nicht chauvinistisch?

Ein Chauvi er nicht, zumindest kein böser. Er steht unter Druck, Erfolg zu haben. Als Underdog ist das schwer, in der Konkurrenz mit Besserbetuchten standhalten zu müssen.

 

Warum tut er sich schwer, sich zu binden? Hat er Angst vor Frauen?

Eine tiefgehende Frage. Da muss auch Oskar, wenn der dem nachgeht, in seine Kindheit zurückgehen. Sein Vater ein russischer Kriegsgefangener, starb früh – als Oskar sieben war. Seine Mutter hat sich neu verliebt. Aber der Stiefvater hat ihn ignoriert, ihn auch geprügelt. Und die Mutter hat – nach der Geburt eines Halbbruders – ihn fallen gelassen, ihn sogar enterbt - so sieht Oskar es – eine böse Geschichte, an die Oskar nie ran wollte, sein Trauma. Immer auf der Suche nach Frauen und immer fürchtet er, enttäuscht zu werden. Ein Teufelskreis.

 

Und die Frauen, die machen das mit? Warum?

Unterschiedlich. Katja möchte ihn bemuttern; sie glaubt, sie kann ihn erziehen. Und das Spiel: sich Annähern und Entweichen, Bedrängen und Nachgeben, das mag sie. … Aber die souveräne Beate lässt Oskar abblitzen. Er nimmt das nicht tragisch, er ist ja hinter der Traumfrau her, Sophie, eine unnahbare Diva. Das Spiel geht weiter.

 

Nicht nur er spielt mit den Frauen, die Frauen auch mit ihm?

Manchmal spielen Frauen ihm böse mit, wie das Leben überhaupt. Ich denke an den Bruch seiner Achse, die Achse seiner Rikscha. Insofern: Das Leben tanzt mit ihm. Er muss viel lernen. Zum Tanzen braucht es zwei, sagt man im Tango.

 

Sowohl auf der Tanzfläche als auch mit seiner Rikscha spielt ihm das Leben hart mit. Ist Oskar ein verlorener Held?

Zunächst ja, keine Frau kann ihm wirklich helfen. Aber sein Halbbruder – der bringt ihm selbstlose Liebe entgegen, beweist ihm, man kann wirklich anders leben – was Oskar zunächst ignoriert. Aber er hat die Chance zu lernen.

 

Nach dem Verlust der Traumfrau säuft er und wir können trotzdem auf ein optimistisches Ende hoffen?

Wie überwindet der Held den Narzissmus? Wie funktioniert die narzisstische Grundstruktur der Gesellschaft, das möchte ich mit dem Roman zeigen. Held, na ja. Oskar will kein Held sein, er ist eher Un-Held oder besser Unhold, will aber kein Verlierer, kein Versager sein. Er ist ein Lebenskünstler und Kunst sollte belohnt werden. Deshalb ein positiver Ausblick.

 

Ich finde, Oskar hat narzisstische Züge. Trotzdem ist die ganze Geschichte sehr emotional erzählt. Würdest du sagen, das ist eine melancholische Geschichte?

Melancholie, ja. Tango ist getanzte Melancholie. Was passiert? Der Mensch ist immer auf der Suche nach Nähe, doch sie realisiert sich nicht. Was bleibt, ist die Leere. Das ist Ausdruck der Melancholie. Die fortwährende Jagd nach Anerkennung kann nicht erfolgreich sein.

 

Das passt zum Tango, das Draufgehen, Zurückziehen, eine gewisse Traurigkeit, das gefällt mir. In deinen Musikszenen, der Roman ist ja voll davon, kommt das am besten rüber. Andererseits ist es die Geschichte eines alternden Mannes aus der Unterschicht, der versucht, mit der Mittelschicht mitzuhalten. Das ist sozial genau geschildert. Ist RikschaTango auch ein Gesellschaftsroman?

RikschaTango kann als Gesellschaftsroman gelesen werden. Er ist nicht nur ein Liebes- und Tanzroman. Am Beispiel der Tango-Community wollte ich auch zeigen, wie der Narzissmus funktioniert. Insofern ist die Tango-Community ein Beispiel für die soziale Struktur unserer Gesellschaft. Die Konkurrenz, das Angeben, das Besser-sein-wollen oder –müssen. Im ersten Augenblick könnte man denken, die Tango-Community ist etwas Besonderes, Exotisches – die Kultur aus Argentinien, die andere Musik – und doch zeigt sich hier, wie in jeder separaten Welt, das Typische unserer Gesellschaft, die Ellbogengesellschaft.

 

Wie hat denn der richtige Oskar darauf reagiert, dass du ihn so öffentlich machst?

O! Anfangs war Oskar begeistert, hat mich öffentlich vorgestellt: Hier kommt mein Biograf. Das war nicht in meinem Sinne. Als ich ihm die ersten Kapitel zum Lesen gab, war er enttäuscht, fand aber gut, wie ich das Thema bearbeite.

 

Mit dem Tango kennst du dich als Tangotänzer ja auch gut aus. Wie bist du denn zum Tanzen gekommen?

Das geht weit zurück. Tanzen mochte ich schon früh, mit zehn Jahren. Wenn Feste waren, Verlobung, Hochzeit, Schützenfest, Kirmes, fand ich es super, wenn Vater einen zu viel getrunken hatte oder einfach nur müde war. Dann konnte ich mit Mutter Walzer tanzen, meine Stunde. Besonders in Zeiten, wenn viel zu tun war, morgens vor der Schule melken, Schweine füttern, oder nach der Schule Kartoffeln sammeln, Garben binden, Unkraut hacken – oft verbunden mit Schlägen – da war ich immer froh, wenn ein Festtag war, mit Tanzen, mit Musik. Auch das Singen in der Kirche. Nichts war schöner als aus voller Brust sonntags im Hochamt Großer Gott wir loben dich lauthals zu singen, dass die Mauern mit den vielen dunklen Männerstimmen wackelten. Eine Rettungsinsel in der schwierigen Welt als Kind auf dem Bauernhof. Von daher habe ich als kleines Kind schon begeistert getanzt und später, mit 14, 15, wo die Nähe zu Mädchen gewünscht war. Die Möglichkeit: Tanzen. Schlimm nur, verklemmt, wie man war, aber da konnte man nachhelfen, fünf, sechs, sieben Dortmunder Bier, das half! Vielleicht noch ein paar Schnäpse zwischendurch, dann klappte es leichter.

 

Du hast deine doch wahrscheinlich schwere Kindheit und dein Durchbeißen in der Jugend in den anderen Romanen verarbeitet, in dem preisgekrönten Roman Mein Himmel brennt, dann der Idealist und Kapuzenjunge – alles schwere, harte Stoffe. Wolltest du einfach mal wechseln, in die Tangokeller, Workshops, Sex und so, mal was Leichtes schreiben?

Ja, etwas, was nicht so sehr mit mir zu tun hat. Der neue Roman hat keinen eigenbiografischen Hintergrund. Ich fand eine Figur faszinierend, die zwar auch aus der Unterschicht kommt, aber einen gänzlich anderen Charakter als die Hauptfigur in den Romanen mit autobiografischem Hintergrund hat, einen Charakter, der das Leben leichter nimmt, der sein Glück sucht, ohne aufsteigen zu wollen, der auch in der Armut authentisch bleiben und sich selbst verwirklichen kann.

 

Das sich Durchbeißen ist aber schon deine Geschichte?

Ja, aber meine Geschichte hat viel mit dem Aufsteigersyndrom zu tun. Der Junge in Mein Himmel brennt wollte weg aus dem Elend und schafft es schließlich auch. Im zweiten Roman, dem Idealisten, sucht er Erfolge bei der Weltrevolution, wird aber Aufsteiger. Er war mit seiner Herkunft nicht zufrieden – anders als Oskar im RikschaTango, der kann zufrieden in seiner Situation verbleiben und sein Glück suchen.

 

Aber Oskar kämpft die ganze Zeit, oder?

Ja, er kämpft …

 

Auch mit sich selbst …

Aber er hadert nicht mit seiner materiell engen Situation. Das ist nicht sein Grundproblem. Er versucht, sich in jeder Situation zufrieden zu fühlen, das Positive wahrzunehmen. Mangelte es ihm nur nicht an der Nähe zu Frauen. Sein Kindheitstrauma. Die Angst, verraten zu werden.

 

Das stimmt. Was mir den Oskar sehr nahegebracht hat, ist sein grenzenloser Optimismus. Welche Rolle spielen die persönlichen Erfahrungen für dein Schreiben? Setzt du Erlebnisse direkt in Schreiben um? Wieviel erdacht – wie viel real?

Persönliche Erfahrungen sind wichtig. Auch RikschaTango hat einen Erfahrungshintergrund, wenn auch einen fremdbiografischen. Diese Erfahrungen müssen aber weitergedacht und fiktionalisiert werden, aber rein fiktional zu schreiben, ohne Fundament persönlicher Erfahrungen, ist sehr begrenzt. Natürlich, Erfahrungen, die universell bekannt sind, kann man nach den Gesetzen der Dramaturgie bestens gestalten. Aber neue Themen, wie z. B. Missbrauch von Jungen – warum gab es früher keine Prosaliteratur darüber? Warum erstmals in den neunziger Jahren? Oder auch mixed-Race Erfahrungen. Ohne reale Erfahrungsbasis könnte man darüber nicht schreiben, oder nur sehr begrenzt.

 

Ja, aber bist du jemals Rikscha gefahren?

Ja, mit Oskar, und es war ein großes Vergnügen. Ein Geburtstagsgeschenk. Eine Tour mit ihm kann ich nur empfehlen. Wunderbar mit seiner Musik und seinen Erzählungen einen Nachmittag durch Berlin zu genießen.

 

Wir sehen, dass Leben ist wichtig, um gute Romane zu schreiben, aber auch die Lektüre. Was liest du am liebsten?

Im Moment: Treffen in Telgte. Faszinierend, wie Günter Grassdie Gesellschaft in der Katastrophe am Ende des 30j. Krieges erzählt. Und die Katastrophe nach dem letzten Weltkrieg und das Treffen der Gruppe 47 darin spiegelt. …

 

Woran schreibst du gerade?

Nach dem leichten Tanz- und Liebesroman habe ich Lust, einen politischen Roman zu schreiben.Es geht um die Zersplitterung, um den Zerfall der modernen Gesellschaft.

 

Dann freuen wir uns darauf. Vielen Dank für das Gespräch.

 

*http://www.thomasfrick.de/

**Eine Aufzeichnung im Schloss Ribbeck Oktober 2021

Redaktion, Kamera, Schnitt: Michael Huppertz.

Produktion ©streaminghavelland.de

Auszug, leicht umformuliert.

>Film auch auf youtube

 

 

Literatur im Gespräch from Michael Huppertz on Vimeo.

Fotoserien

Buchbesprechung im Schloss Ribbeck (20. 10. 2020)



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